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Marilyn Yalom: Birth of the Chess Queen


Die folgende Besprechung eines schachhistorischen Buches1 habe ich 2005 auf Amazon unter dem noch immer zutreffenden Titel Schönes Buch, aber fragwürdiger theoretischer Ansatz veröffentlicht. Damals gab es noch Gutscheine, wenn man zu einem Buch die erste Rezension schrieb; als dies eingestellt wurde, habe ich auch aufgehört.

Yalom legt ein Buch vor, in dem sie die Geschichte der Schachfigur Dame im Mittelalter mit der politischen Stellung mittelalterlicher Königinnen verknüpft. Sie selbst lehrt Frauengeschichte in den USA, und als Schachhistoriker staunt man schon etwas, wie gut sich die Autoren in die Geschichte des mittelalterlichen Schachs eingearbeitet hat, denn das ist alles andere als einfach. Trotzdem muß man den feministisch-historischen Ansatz hier als theoretisch verfehlt erachten. Im arabischen Schach war die Dame ein Wesir und konnte nur ein Feld diagonal ziehen und damit der schwächste Offizier. Im europäischen Mittelalter taucht sie in der frühesten Quelle (Einsiedelner Schachgedicht, Ende 10. Jhdt.) als domina auf. Die heutigen Zugmöglichkeiten erhält sie erst am Ende des 15. Jhdts. Schach als metaphorische Abbildung der Welt zu sehen und die Figuren vor dem Hintergrund der Geschichte zu interpretieren, wie es Yalom tut, wird dem Spiel, das eine Eigenlogik erhalten muß, um überhaupt spielbar zu sein, nicht gerecht. Zwar haben die Schachzabelbücher in der Nachfolge des Dominikanermönchs Jacobus de Cessolis dies auch getan und waren im späten Mittelalter in ganz Westeuropa sehr populär, aber es gibt keinerlei Anzeichen dafür, daß diese theologische Rezeption in irgendeiner Form auf das Spiel selbst zurückwirkt. So bemerkt man als Leser auch, daß die schachhistorischen und die politisch-historischen Teile des Buches nie wirklich homogen verbunden werden, sondern eher kontrastiv wirken, obwohl das Gegenteil intendiert ist. Das Buch ist sehr sorgfältig produziert, verfügt über eine Reihe von Farbtafeln, und wie erwähnt, ist Yalom die Einarbeitung in die Schachgechichte gut gelungen. Das alles reicht mir für vier Sterne, denn die Lektüre war wirklich keine vertane Zeit. Aber das der feministische Ansatz keine universelle Geltung für die Interpretation der Geschichte haben kann, belegt das Buch ungewollt auch ganz deutlich.

Naturgemäß ist man mit der Zeit ein wenig schlauer geworden. Die Grundthese, daß es keinen Zusammenhang zwischen den Bezeichnungen der Schachfigur und der politischen Stellung hochgestellter Frauen gibt, bedarf sicherlich keiner Revision, allerdings hätte man die vorsichtige Kritik an der feministischen Geschichtsschreibung in der hier vorliegenden Form viel deutlicher formulieren sollen. Grundsätzlich gibt es keinen algorithmischen Zusammenhang zwischen Symbolen und ihren Urbildern; vielmehr ist jeder frei, seine Symbole beliebig zu wählen. Gerade beim Schach wird das besonders deutlich, das in den Künsten gleichermaßen als Kampf- und Kriegssymbol gemäß seiner ursprünglichen Form als Abbild des indischen Heeres wie auch als Friedens- und Toleranzsymbol (Willehalm, Nathan der Weise) figuriert. Daß eine Universitätsprofessorin (für französische Literatur) ihren Gegenstand jahrelangen Forschens im Grunde frei herbeiphantasiert, ist eine Peinlichkeit sondergleichen und ein dramatisches Beispiel dessen, was in den Geisteswissenschaften so alles an Unfug möglich ist, wenn man nur die Symbole paradigmatischer Moden entsprechend zu jonglieren weiß.


Anmerkungen

1Marilyn Yalom: Birth of the Chess Queen. A History. Amerikanisch. New York, NY: HarperCollins Publishers Inc., 2004. 276 S. ISBN: 0060090642.

Marilyn Yalom: Birth of the Chess Queen 1

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