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Rezension „Rochaden. Schacherinnerungen“ von Hans-Joachim Hecht

Nur einige Wochen, nachdem Robert Hübner seine Elemente einer Selbstbiographie vorgelegt hat, die allerdings mit Schach kaum etwas zu tun haben, erfreut ein weiterer Altinternationaler das deutsche Schachpublikum mit einem Erinnerungsbuch: Die Memoiren von Hans-Joachim Hecht1 führen uns in eine andere Zeit. Hecht war ursprünglich DDR-Bürger und beging Republikflucht (das wußte ich bisher nicht). Der Großmeistertitel war deutlich seltener als heute. Und es gab noch Hängepartien. Insbesondere die Inflation an Großmeistern ist ziemlich augenfällig. Wikipedia zählt in Deutschland im August 2016 97 lebende und neun verstorbene Großmeister bei den Herren sowie 19 lebende und eine verstorbene Damengroßmeisterin. Zum Vergleich: das von mir in meiner Jugendzeit sehr geliebte Buch Die besten Partien deutscher Schachgroßmeister2 versammelte 1983 acht lebende deutsche Großmeister aus der Bundesrepublik, davon eine Dame. Ludek Pachman, der sich auf der Mannschaftseuropameisterschaft 1977 mit der Nationalmannschaft zerstritten hatte,3 und die DDR-Großmeister fehlten.

Das Buch beginnt mit Hechts Jugend am Rande von Berlin. Die Eltern schickten ihre Kinder in den Westteil der Stadt zur Schule, um sie dem doktrinären Einfluß der DDR-Pädagogik zu entziehen. Das führte zu einigen Schikanen. Schon früh mußte sich Hecht ein Zimmer nehmen, um nicht täglich über die Zonengrenze zu fahren. Im Buch findet sich die Abbildung eines Strafbefehls gegen die Eltern wegen der Weigerung, eine lokale Schule zu besuchen. Hecht dürfte unter diesen Verhältnissen früh ziemlich viel Selbstständigkeit erlernt haben, die ihm später sicherlich nützlich war. Diese Verhältnisse erklären auch meine Überraschung über Hechts DDR-Vergangenheit, denn aus dem erwähnten Buch wußte ich, daß er das wettkampfmäßige Schachspielen beim SK Tempelhof, also im Westteil der geteilten Stadt, begonnen hat und an westdeutschen Jugendmeisterschaften teilgenommen hatte. Republikflucht – in der DDR eine erhebliche Straftat – beging er eine Woche vor dem Mauerbau, und die Aberkennung der DDR-Staatsbürgerschaft erfolgte gar erst 1972, wobei dieser Akt im Westen bedeutungslos war, weil die DDR-Staatsbürgerschaft dort ohnehin nicht anerkannt wurde.

Sehr breiten Raum nehmen Hechts Erinnerungen an seine Berliner Zeit ein. Überaus erfreulich ist, daß er wenig ichzentriert schreibt und ein wunderbares Stimmungsbild der lokalen Schachszene mit vielen Mitteilungen über andere Schachgrößen, Kameraden wie Konkurrenten, erstellt. Dazu ist es ihm offenbar auch gelungen, Bilder aus privaten Fotoalben aufzutreiben.

Nach einem begonnen Mathematikstudium (über dessen Ende nichts mitgeteilt wird) und einer Ausbildumg zum Verwaltungsbeamten im gehobenen Dienst entschloß sich Hecht schließlich, Schachprofi zu werden und damit auch, Berlin zu verlassen, um bei der SG Solingen anzuheuern, mit der er mehrmals deutscher Mannschaftsmeister wurde. Seine fünf Profijahre müssen ziemlich erfolgreich gewesen sein, denn er gewann mehrere kleinere Rundenturniere. Höhepunkt war natürlich der Sieg bei der internationalen deutschen Meisterschaft 1973, wo er den erst ein Jahr zuvor enthronten Weltmeister Spasskij schlug.

Die Gründung einer eigenen Familie bewog ihn dann doch, wieder einen bürgerlichen Beruf auszuüben. Daß er mit der Bemerkung, gute Schachspieler müßten auch gute Programmierer sein, angestellt wurde, um Programmieren in Assembler und COBOL on the job zu erlernen, ist auch so eine Volte, die heute, wo die IT-Stellen immer spezieller ausgeschrieben werden, gänzlich unmöglich wäre. Aber in Pionierphasen geht so etwas.

Nach einem beruflich bedingten Wechsel nach München kam irgendwann die Zeit, als ihm Schach auf leistungssportlichen Niveau zu anstrengend wurde. Heute spielt er für TuS Fürstenfeldbruck, wo auch seine Söhne Mitglied sind.

Hecht gelingt es wunderbar, die Balance zu halten zwischen Plauerdeien aus dem Nähkästchen und schachlichen Kommentaren. Bei letzteren neigt er nicht zu ausufernden Analysen, sondern beschränkt sich auf wichtige Momente, die zumeist im Endspiel liegen. Er hat ja auch lange eine Endspielrubrik im ChessBase Magazin unterhalten. Wertvoll ist die Bebilderung mit so manchem privaten Schatz. Die Neigung zu intellektuellen Eitelkeiten, die man nicht nur bei Robert Hübner, sondern aller Onkelhaftigkeit zum Trotz auch in den Publikationen Helmut Pflegers immer wieder findet, teilt Hecht überhaupt nicht. Ein Nachteil ist das nicht. Ein wirklich rundherum gelungenes Buch, das eine nachdrückliche Empfehlung verdient.


Anmerkungen

1Hans-Joachim Hecht: Rochaden. Schacherinnerungen. Berlin: Edition Marco/Verlag Arno Nickel 2015, 429 S., ISBN 9783924833695.

2Helmut Pfleger (Hg.): Die besten Partien deutscher Schachgroßmeister. Klaus Darga, Hans-J. Hecht, Robert Hübner, Barbara Hund, Erik Lobron, Helmut Pfleger, Lothar Schmid, Wolfgang Unzicker. Niedernhausen/Ts.: Falken-Verlag GmbH 1983, 192 S., ISBN 3806841217.

3Ludek Pachman: Hübner – Kortschnoi. Finale in Meran. Düsseldorf: Walter Rau Verlag 1981, 125 S., ISBN 3791901990, S. 120.

Rezension „Rochaden. Schacherinnerungen“ von Hans-Joachim Hecht 1

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